Knockout 51 – der zweite Prozess

 Leon Ringl und Kevin Noeske in Chemnitz am 7.9.2018 (Bildrechte: Pixelarchiv)
Leon Ringl (mittig) und Kevin Noeske (1.v.r.) in Chemnitz am 7.9.2018 (Bildrechte: Pixelarchiv)

Die Anklage im ersten Prozess gegen die rechtsterroristische Gruppe Knockout 51 aus Eisenach war sehr lückenhaft. Beobachter*innen kritisierten nicht nur die geringe Zahl von vier Angeklagten, sondern auch die Ermittlungsthese, dass sich die Gruppe als auf Gewalt ausgerichteter Zusammenschluss erst 2019 gegründet hätte. Am offensichtlichsten zeigen sich diese Widersprüche an der Person Kevin Noeske: Der vorbestrafte rechte Schläger war Mitgründer von Knockout 51 und hatte schon weit davor eine Gewaltserie gegen Linke in Eisenach angeführt. Obwohl sich die Ermittlungen und Hausdurchsuchungen von Anfang an auch gegen ihn richteten, wurde er erst 1,5 Jahre in Untersuchungshaft genommen und im ersten Prozess vor dem OLG Jena nicht angeklagt. Trotzdem steht er nun als Rädelsführer vor Gericht. Auch sein Mitangeklagter Marvin Wolf zählte von Beginn an zur Gruppe und hatte sich als gelernter Schweißer mit dem Bau von Teilen einer Maschinenpistole nützlich gemacht. Am interessantesten wird die Rolle von Patrick Wieschke im Prozess. Der einstige Rechtsterrorist und Kader der NPD hatte bei Knockout 51 Aufbauhilfe geleistet und der Gruppe Räume für Kampfsporttrainings, Nachwuchsrekrutierung und Waffenlager zur Verfügung gestellt. Jedoch sagte er in Haft gegen die jüngeren Kameraden aus und verspielte sich damit viel Glaubwürdigkeit in der rechten Szene. Bevor das Jenaer Oberlandesgericht ein weiteres Mal daran schreitet, den Rechtsterroristen die Terror- und Tötungsabsicht abzusprechen und Antifa-Aktionen zur Hauptursache für die rechte Gewalt der Eisenacher zu erklären, hier eine Übersicht zu den drei Angeklagten.

Ein Beitrag von ’We’re watching you, 51’

Marvin Wolf

Marvin Wolf am Rande einer rechten Kundgebung in Eisenach am 7.6.2019 (Bildrechte: Sören Kohlhuber)

Marvin Wolf ist seit spätestens 2019 bei Knockout 51 (KO51) aktiv. 2020 gehörte er zu den regelmäßigen Teilnehmern bei Fahrten zu rechten Aufmärschen der Gruppe, etwa zu Krawallen bei Querdenker-Protesten in Leipzig und Berlin. Wolf wirkte auch an der Propaganda der Gruppe mit, wenn er etwa das neonazistische Gedenken zum Volkstrauertag in Eisenach auf Auftrag von Leon Ringl fotografierte, damit dieser daraus Social-Media-Material machen konnte. Wolf war außerdem dabei, als KO51 zu Schießtrainings nach Tschechien fuhr. Für Leon Ringl stellte der gelernte Schweißer Wolf ein Verschlussteil für eine Maschinenpistole vom Typ FGC-9 her. In der Mordabsicht gegen Linke vereint, war Wolf auch als Autofahrer beim versuchten Angriff vor dem Erfurter AJZ dabei. Dort war er entschlossen, im Angriffsfall Linke zu überfahren. Weil er zwischenzeitlich zu unregelmäßig am Kampfsporttraining der Gruppe teilnahm, musste er auf Weisung Leon Ringls hin sein KO51-Shirt wieder abgeben. Er wurde aber weiter als Teil des internen Kreises zu Aktionen, Schutzdiensten am Flieder Volkshaus usw. mitgenommen.

Marvin Wolf (r.) als Orderdienst im “Flieder Volkshaus” am 10.9.2022 mit Matthias Drewer (m.) und Nils Budig (l.) (Bildrechte: Pixelarchiv)

Kevin Noeske

Kevin Noeske (Mitte) mit Eric Krempler (1.v.l.), Marvin Wolf (3.v.l. 2. Reihe), Levin Harseim (über dem “Ü”) und Christian Zentgraf (r. am Banner) vor dem LINKE-Büro in Eisenach am 19.12.2019 (Bildrechte: Pixelarchiv)

Es bleibt unklar, warum Kevin Noeske nicht schon im ersten KO51-Prozess angeklagt wurde. Noeske war gemeinsam mit Leon Ringl und Maximilian Andreas Gründer der Gruppe und war immer treibender Motor bei brutalen rechten Übergriffen und Morddrohungen in Eisenach. Schon vor der Gründung von KO51 war Noeske mit einem Springmesser unterwegs, griff Menschen mit Pfefferspray und Schlägen an und bedrohte Linke mit einem Baseballschläger. Mit dem Übergang der noch stärker propagandistisch auftretenden Gruppe „Nationaler Aufbau Eisenach“ zu KO51 wurde der Gruppenzweck auch noch mehr von Kevin Noeske und Leon Ringl in Richtung Kampfgruppe definiert. Noeske trat als Kämpfer bei der Neonazi-Serie „Kampf der Nibelungen“ an, war Anwärter bei den Erfurter Nazihooligans vom „Jungsturm“ stieß vor allem nach seinem Umzug nach Erfurt zur dortigen militanten Szene hinzu. Mit deren Protagonisten um Robert Brandt startete Noeske zudem “Kontrakultur Erfurt”, um sich in der „Identitären Bewegung zu vernetzen. Während Leon Ringl Videos für “Kontrakultur” schnitt, fuhr Kevin Noeske auch nach Wien, wo er Martin Sellner zum persönlichen Austausch traf. Noeske war zudem Teil der Neonazi-Hooliganruppe des FC Rot-Weiß Erfurt, “Jungsturm”, für die er u.a. auch an Kämpfen, Trainings und Treffen teilnahm. Er agierte damit als Bindeglied zwischen den Neonazi-Hools, Knockout51 und dem AfD-Vorfeld.

Martin Sellner (1.v.l.) mit Robert Brandt (Mitte), Luis Rupprecht (2.v.r.) und Kevin Noeske (1.v.r.) in Wien am 29.4.2023 (Bildrechte: Standpunkt Press)

Nach der Ermordung von zwei Black-Lives-Matter-Demonstrierenden in Wisconsin durch den bewaffneten Rechten Kyle Rittenhouse im Sommer 2020 hielt Kevin Noeske einen rassistischen Vortrag in Eisenach. Bei diesem Anlass wurde ein Gruppenfoto zu Ehren des Mörders geschossen. Nur kurz nach der Unterstützungsaktion für Kyle Rittenhouse organisierte Kevin Noeske mit dem Netzwerk “Kampf der Nibelungen” und der von den Eisenachern übernommenen Gruppe “Junge Revolution” ein Traingscamp für Neonazi-Kampfsportler in Stützerbach im Thüringer Wald. Im Oktober 2020 postete Noeske ein Foto vom Kampfsporttraining im Flieder Volkshaus, bei dem er demonstrativ das Buch “Jäger” neben Boxhandschuhe platzierte. Das vom US-Neonazi Neonazi William Luther Pierce verfasste Buch ist die Vision eines Rechtsterroristen, der Paare mit eine*r nicht-weißen Partner*in und Bürger*innenrechtsaktivist*innen ermordert. Dahinter steht dieselbe Idee des “führerlosen Widerstand” wie bei Pierce bekannterem Buch “The Turner Diaries”, das u.a. den NSU inspiriert haben dürfte.

Das Bild ist Programm: Kampfsporttraining im Flieder Volkshaus auf Grundlage von Literatur für RechtsterroristInnen; Instagram-Bild von Kevin Noeske am 19.10.2020

Seinen rechtsterroristischen Vorbildern folgend ging auf Kevin Noeskes Vorbereitung auch ein Jahr später der Versuch zurück, vor dem Erfurter AJZ Linke in eine Auseinandersetzung mit tödlichem Ausgang zu verwickeln. Noeske brachte dafür eigens kampferprobte Erfurter Neonazis mit. Darunter war Philippe Amor vom “Kollektiv56”, der schon vielfach an rechten Übergriffen in Erfurt beteiligt war.
Trotz der räumlichen Distanz zwischen Erfurt und Eisenach bildete Noeske immer das Führungsduo von Knockout 51 mit Leon Ringl. Die beiden stimmten sich regelmäßig per Chat und Telefon über Entwicklungen der Gruppe und Aktionsplanungen ab. Noeske war auch am Aufbau einer Art Neonazi-Bürgerwehr in Eisenach beteiligt, die nachts patrouillierte und Privatwohnungen, Ringls Kneipe “Bull’s Eye” und das “Flieder Volkshaus” mit Sicherheitsvorkehrungen aufrüstete. Kevin Noeskes Wohnung wurde parallel zu der seiner Eisenacher Kameraden am 6.4.2022 durchsucht, bloß kam er im Gegensatz zu Leon Ringl, Bastian Adam, Maximilian Andreas und Eric Krempler nicht in Untersuchungshaft. Erst im Dezember 2023 wurde seine Wohnung erneut durchsucht und er kam wegen der Rädelsführerschaft bei KO51 in Haft. Zu diesem Zeitpunkt war Noeske bereits seit zehn Jahren in der Neonaziszene aktiv, hatte sich an einer ganzen Reihe von Übergriffen beteiligt und eine Vielzahl militanter Strukturen mit aufgebaut.

Verhaftung von Kevin Noeske (Kapuze) am Morgen des 14. Dezember 2023 in der Talstraße 14 Erfurt, vor der gemeinsamen Wohnung seiner Partnerin Annica Bienert. (Bild: Screenshot MDR)

Im Oktober 2024 erhob zudem die Generalstaatsanwaltschaft Dresden Anklage gegen vier Angreifer auf ein jüdisches Restaurant 2018 in Chemnitz, wobei sich unter den vier Angeklagten auch zwei Personen befinden sollen, die der Gruppe KO51 zugeordnet werden. Das es sich dabei Kevin Noeske und Leon Ringl handelt, liegt nahe, da beide zwischen dem 27.8. und dem 7.9.2018 an mehreren Demonstrationen und Ausschreitungen der Neonaziszene 2018 in Chemnitz teilnahmen und überregional vernetzt sind. Zudem waren sie bei anderen Neonaziveranstaltungen mit einem der bereits verurteilten Angreifer auf das Restaurant zu sehen, der ursprünglich aus Niedersachsen stammende militante Neonazi Kevin Arbeit. Die Ermittlungsbehörden kamen durch ausgewertete Handy-Daten anderer Beschuldigter sowie DNA-Spuren auf die Angeklagten.

Patrick Wieschke

Als die Rollenverteilung noch funktionierte: Patrick Wieschke am 25.7.2020 in Eisenach am Mikro auf dem LKW, Knockout 51 an der Aufmarschspitze; Eric Krempler (1.v.r.), Nils Ackermann (2.v.r.), Leon Ringl (3.v.r.), Bastian Adam (4.v.r.), Ann-Kathrin Winkler (m. OP-Maske im Hintergrund), Markus Walther (m. Sonnenbrille), Yves Amert (1.v.l.) (Bildrechte: Nico Kuhn)

Patrick Wieschke kommt politisch aus dem „Thüringer Heimatschutz“ der 1990er und ist selber verurteilter Rechtsterrorist, seit er 2001 einen Sprengstoffanschlag auf einen Imbiss verübte. Seit ca. 2013 war der unvermindert militant gesinnte Wieschke eine Art Mentor für die neue Generation Eisenacher Neonazis um Leon Ringl, Bastian Adam und Kevin Noeske. Er bot ihnen Raum für Treffen und eigene Veranstaltungen in der NPD-Zentrale „Flieder Volkshaus“, wo sie auch durch Wieschkes Rechtsrock- und Parteiveranstaltungen Kontakte in die bundesweite Neonaziszene knüpfen konnten. Wieschke hielt selber Schulungsvorträge vor den jungen Rechten. Nach der Gründung von KO51 organisierte Wieschke mit der Gruppe zusammen weitere Veranstaltungen wie eine Lesung mit dem letzten Pfleger des NS-Kriegsverbrechers Rudolf Hess. Bei Konzerten und Partys in „Flieder Volkshaus“ engagierte Wieschke KO51-Mitglieder als Türsteher und ließen ihnen freie Hand bei Gewaltausbrüchen gegen betrunkene Rechte. In der Immobilie konnte KO51 zudem Kampfsport trainieren und später auch Waffen lagern. Wieschke fuhr auch mit KO51 auf Aufmärsche auswärts, wo er bei Übergriffen der Jüngeren stets in nächster Nähe stand. So etwa am 21.11.2020 in Leipzig, wo die Eisenacher Reisegruppe einen Gegendemonstrierenden angriff und jagte. Leon Ringl prahlte später gegenüber Kameraden mit der angewendeten Brutalität, was ihm eine Anklage wegen Landfriedensbruch einbrachte. Hierbei stand Patrick Wieschke vermummt und mit Sonnenbrille in der ersten Reihe.

Patrick Wieschke (1.v.l.) und Leon Ringl (mittig hinten m. Kapuze) kurz vor einem Angriff auf Gegendemonstrierende in Leipzig am 21.11.2020 (Foto: Presseservice Rathenow)

Bereits zwei Wochen zuvor hatte Bastian Adam eine Flasche Club Mate auf die Polizei in Leipzig geworfen, traf jedoch den rechten Streamer und Aktivisten Boris Reitschuster am Kopf. Reitschuster blieb seinem Verschwörungswahn treu und fabulierte über den Flaschenwurf auf seinem Blog, dass er auf agents provocateurs der Antifa zurückzuführen wäre. Auch diese Tat war Teil der Anklage im ersten KO51-Prozess.
Als Wieschke im Zuge einer zweiten Welle von Razzien gegen KO51 verhaftet wurde, sagte er gegen die Gruppe aus, um aus der Haft entlassen zu werden. Dies markierte einen anhaltenden Bruch zwischen ihm und KO51, sowie darüber hinaus zwischen seinem Umfeld um das „Flieder Volkshaus“ und der restlichen Neonaziszene. Wieschke selber versuchte danach bei seinen alten Netzwerken anzuknüpfen und wurde bei weitem nicht von allen für seinen Verrat verurteilt. Vielmehr sendete ihm etwa der einstige NSU-Helfer André Kapke ein öffentliches Zeichen der Unterstützung in Form eines Witzes.

Patrick Wieschkes erste Meldung auf Facebook nach der Entlassung aus der U-Haft am 23.4.2024 (Bildrechte: Facebook)

Bis zu seiner Verhaftung im Dezember 2023 hatte Patrick Wieschke es geschafft, das “Flieder Volkshaus” zum bundesweiten Hotspot für Rechtsrockkonzerte zu machen. Die Bedingungen dafür standen günstig, da nach verstärkter Repression und einer Serie von Bränden in Thüringen kaum noch Immobilien für Neonazi-Konzerte zur Verfügung standen. Obwohl es an Wieschke seit Jahrzehnten auch szeneintern Kritik gab, ließen viele Neonazi-Netzwerke ihre vermeintlichen Prinzipien beiseite und nutzten die Räume des als korrupt, unsolidarisch und wegen Gewalt gegen seine Mutter und des Vergewaltigungsversuchs einer Minderjährigen in Verruf geratenen Patrick Wieschke für ihre Konzerte. Seit Wieschkes Verhaftung und dem darauffolgenden Verrat machen dieselben Netzwerke doch einen Bogen um Eisenach. Davon profitiert wiederum der nicht weniger in die eigene Tasche wirtschaftende Neonazi-Geschäftsmann Tommy Frenck mit seinem neuen Objekt in Brattendorf. Wieschke hat noch ein kleines treues Umfeld an AnhängerInnen von “Die Heimat”, die rund um das “Flieder Volkshaus” eine Mischung aus FreundInnenkreis und politisches Milieu pflegen. Auch der Bundesvorstand der Partei “Die Heimat” stellte sich in alter Tradition, Kontinuität ihrer wenigen Kader über politische Prinzipien zu stellen, unmissverständlich hinter Wieschkes Verrat “Das Präsidium und der Parteivorstand sehen nach Rücksprache mit Rechtsanwälten und Patrick Wieschke kein Fehlverhalten.” Anders sah das etwa der militante Dortmunder Neonazi-Kader Sven Skoda, der über die “persona non grata” Wieschke urteilte: “Jemand, der mich so hätte ins Messer laufen lassen, hätte mein Vertrauen für immer verspielt.” Insgesamt scheint Patrick Wieschke inzwischen sehr alleine dazustehen. Wie sich das während des anstehenden Prozesses auf die rechte Solidarität auswirkt, bleibt abzuwarten.

Patrick Wieschke am 7.10.2023 vor dem Flieder Volkshaus in Eisenach (Bildrechte: Recherche Nord)