Themar/ Erfurt: ‚Wir sind alle Antifa?‘ Bitte nicht!

Am Dienstag, den 6. Februar 2018 fand in Erfurt eine von der Mobilen Beratung in Thüringen (Mobit) veranstaltete Podiumsdiskussion und Vorstellung der Broschüre ‚Hass und Kommerz – RechtsRock in Thüringen‘ statt. Anlass und Schwerpunkt der Diskussion waren dabei die im letzten Jahr stattgefundenen Nazikonzerte in Themar. Die Antifa Suhl/Zella-Mehlis schrieb aus diesem Anlass ein Flugblatt, welches auf dieser Veranstaltung verteilt wurde.

Auf dem Podium waren ein Vertreter von Mobit, Katharina König Preuß (Die Linke), Miriam Schieck vom ‚Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra‘ und der Musikwissenschaftler Thorsten Hinrichs vertreten. Nach der Vorstellung der Broschüre und der in ihr veröffentlichten Daten der zahlenmäßigen Erhebung von RechtsRock-Konzerten in Thüringen, räumte Thorsten Hinrichs, der ebenfalls einen Beitrag in der Broschüre veröffentlicht hat, in seinem Kurzreferat mit dem Irrglauben auf, Musik sei eine „Einstiegsdroge“ in die rechte Szene. Er stellte dar, dass nicht Nazimusik Menschen zu Nazis mache, sondern die Tatsache, dass Nazis Musik machen, diese zu Nazimusik mache. Nach dessen Ausführungen ging die Veranstaltung zur Form des Podiums über. Die Frage danach, was, wenn nicht die Musik, Menschen empfänglich für menschenverachtende Ideologien mache, wurde auf diesem aber nicht gestellt; auch dann nicht, als Katharina König-Preuß während der Podiumsdiskussion mehrfach insistierte, es könne nicht um die Verhinderung eines einzelnen Festivals gehen, sondern Ziel sollte die wirksame Bekämpfung von Nazistrukturen sein. Die Erkenntnis, dass dies zu tun im Widerspruch zur Verteidigung der Demokratie steht, sollte durch ein Flugblatt der Antifa Suhl/Zella-Mehlis befördert werden, dass gleichzeitig darauf aufmerksam machte, dass die Proteste in Themar keine Grundlage für eine erfolgreiche antifaschistische Politik sein können, wenn hier einander widersprechende Interessen vertreten werden, nämlich ein konsequenter Antifaschismus nur über den Weg der Überwindung dieser Gesellschaft führt, die zu verteidigen aber Ziel der vielfach beschworenen zivilgesellschaftlichen Akteure, ebenso wie selbstredend der Landesregierung, an die zu appellieren auch an diesem Abend kaum einer müde wurde, ist.
Wir dokumentieren das Flugblatt der Antifa Suhl/ Zella-Mehlis:

Am 15. Juli 2017 kamen in Themar knapp 6.000 Neonazis zum „Rock gegen Überfremdung“ zusammen. Damit konnten die Neonazis es schaffen ein internationales Szeneevent auf die Beine zu
stellen. Doch während die Neonazis sich im Anschluss an dieses Festival zerstritten und spalteten, hatte die Veranstaltung ganz andere Leute vereint und zusammengeschweißt. Die Rede ist hier von der Volksgemeinschaft gegen Rechts, die sich neben den Farben schwarz-rot-gold, dem antifaschistischen Kampf mit allen verbalen und versammlungsrechtlichen Mitteln verschrieben haben. Unter „Wir sind alle Antifa!“ zogen Linke, Bürger, Politiker und die Dorfjugend auf die Straße. Warum das aus unserer Sicht nichts mit Antifa zu tun hat und der Kampf gegen Neonazis auch immer auf die Überwindung des Bestehenden abzielen muss, wollen wir anlässlich der Podiumsdiskussion „Hass und Kommerz“ im Folgenden darlegen.

Thüringen macht mobil

Über alle Parteigrenzen hinweg, die AfD als indirekter Mitorganisator der Nazifestivals mal ausgelassen, fand man sich im Frühjahr 2017 in Themar ein. Lokalpolitik, Zivilgesellschaft und Personen lokaler (Un-)Bekanntheit trafen sich am runden Tisch um einen breiten Protest gegen das Nazifestival auf die Beine zu stellen und, wenn möglich, die Veranstaltungen zu verhindern. Dort trafen sich CDU-Landrat Müller, der bei Veranstaltungen gegen Rechts gerne mal selbst von „Negern“ redet, wenn er Geflüchtete meint, mit Antisemiten wie Florian Ernst Kirner (Prinz Chaos II.) und natürlich die staatlichen Anti-Nazi-Initiativen wie z.B. Mobit und Vertretern der Landesregierung. Für den Tag X, als das „Rock gegen Überfremdung“ stattfand, demonstrierte die Thüringer Zivilgesellschaft, die parlamentarische Beobachtungsgruppe und ein AK Themar gegen das Nazi-Konzert Seite an Seite. Letzterer verschrieb sich mehr der linksradikalen Perspektive und versuchte sich von bürgerlichen Protestformen abzugrenzen – leider erfolglos. Die antifaschistische Demonstration täuschte lediglich darüber hinweg, wie ohnmächtig eine linksradikale Kritik in einem solchen Fall der Masse an Nazis und Verteidigern der bürgerlichen Gesellschaft gegenübersteht. Es kam sogar noch schlimmer als befürchtet.

Ein Kessel Buntes in Südthüringen

Die antifaschistische Kritik, die durchaus vorhanden war, ging unter. Sie stand widerspruchslos neben dem, was die zivilgesellschaftlichen Akteure und Bürger Themars auf die Straße brachte. Ursachen für das Naziproblem spielten hier keine Rolle mehr, man befand sich auf dem Event, auf der moralisch guten und dem dummen Nazipöbel überlegenenSeite. Es ist zum Schaulaufen geworden, ohne wirklichen Inhalt oder Auseinandersetzung mit dem, was im Landkreis seit Jahren freien Lauf hat. Denn in der Vergangenheit hat es weder den Landrat noch die rot-rot-grüne Landesregierung interessiert, wenn Neonazis sich im Landkreis breit machten und z.B. mit mehreren Autos als Bürgerwehr Migranten durch Hildburghausen jagten, wie es 2014 der Fall war.
Der Protest in Themar, ebenso Veranstaltungen wie die heute, finden nicht in kritischer, sondern in staatstragender Absicht statt. Während es uns als Antifa Suhl/Zella-Mehlis darum geht, eine Gesellschaft zu kritisieren, die notwendigerweise Nazis hervorbringt, geht es der bunten Einheitsfront nicht um das Begreifen, sondern um das blinde, medienwirksame Handeln für den Standort. Der blinden Wut des Machens, in der die Ausgangslage ist, keinen wirksamen Erfolg gegen die Nazis auf der Straße zu haben, erhebt sich das Mittel des Protestes zum reinen Selbstzweck, womit jegliche Intention eines antifaschistischen Protestes in das Gegenteil verkehrt wird. Die Angst vor dem Imageschaden durch vermeintliche „Invasoren von außen“, wie es zu vernehmen war, war Triebkraft ganzer Scharen aus Staats-Antifaschisten, die von ihrer Bestimmung jahrelang noch nichts wussten, sich angesichts des Mega-Events aber dann doch veranlasst sahen das heimatliche Südthüringer Gehört zu verlassen.

Der bürgerliche Protest in Themar und anderswo zielt auf die Sicherung der bestehenden Verhältnisse, eine „Demokratie“, die den kapitalistischen Ausbeutungsbetrieb sauber mit am Laufen hält. Es sind jene Kräfte zusammengekommen, die Menschen in Deutschland willkommen heißen, solange sie verwertbar für das System sind, aber genau so konsequent jene in das Elend abschieben lassen, die sie für nutzlos halten. Da ist es egal ob es der CDU-Landrat ist, der Bürgermeister von Themar der Ausländer in der Stadt willkommen heißt, wenn sie brav den Döner braten oder die Akteure der rot-rot-grünen Landesregierung. Unserem Verständnis nach kann es nicht darum gehen in friedlicher Eintracht mit den Verteidigern und Verfechtern der bestehenden Verhältnisse, seien es Parteien, Kirche oder die sogenannte Zivilgesellschaft, gegen die Nazis vorzugehen. Die Konsequenz wäre, das öffentliche Bild von Themar, den Landkreis und am Ende des geläuterten Deutschlands zu manifestieren und vom Standpunkt einer radikalen Kritik der Gesellschaft abzuweichen. Mit solchen bürgerlichen Protest gibt es für emanzipatorische Kräfte nichts zu gewinnen, sondern nur zu verlieren.

Für einen radikalen Antifaschismus!

Die heutige Veranstaltung wird genau in eine solche Kerbe schlagen. Wir fordern deshalb all jene auf, die sich heute hier einfinden in dem Gedanken sie erfahren etwas über Handlungsmöglichkeiten gegen Nazis, sich fernab davon zu organisieren, wo die Akteure des geläuterten und „bunten Deutschlands“ aktiv werden. Es darf beim Antifaschismus und letztendlich der Antifa an sich, nicht darum gehen um jeden Preis der Bündnispolitik hinterher zu rennen. Wir haben nichts zu gewinnen, weder können wir unsere Positionen vermitteln wo die Staatsantifa die Deutungshoheit inne hat, noch können diese Bündnisse genutzt werden, um konsequent gegen Nazis vorzugehen. Der Event-Protest in Themar und die heutige Veranstaltung dienen nur den in Szene gesetzten Lokalpolitikern, dem Image eines Kaffs, in dem der rassistische Mob die Nazis höchstens für die Drecksarbeit braucht, dem guten Gewissen einiger Antifaschisten und dem Pressespiegel der Nazis sowie der Rechtfertigung von Stellen bei Mobit, Parteien und anderen Institutionen der Volksgemeinschaft gegen Rechts.

Wir haben keine Handlungsanleitung gegen den wiederkehrenden Nazimob, egal ob in Themar, Leinefelde oder Kirchheim. Doch es ist klar, dass es Antifaschisten nicht darum gehen kann die eigenen Positionen und die Gesellschaftskritik für einen blinden Aktionismus wegzuwerfen, um Manövriermasse eines Bündnis gegen Rechts zu sein. Es gilt die wenigen autonomen Strukturen zu verteidigen, die radikale Gesellschaftskritik voran zu treiben und den „Antifaschismus“ abzuweisen, der nicht auf eine Überwindung der kapitalistischen Zurichtung zielt, sondern diese nur untermauert.