Redebeitrag zu 30 Jahre Ratschlag Thüringen

Am 28. August fand eine antifaschistische Demonstration sowie ein Open-Air anläslich des 30-jährigen Bestehens des antifaschistischen und antirassistischen Ratschlags statt. Zu diesem Anlass wird der Redebeitrag der Antifa Suhl/Zella-Mehlis zur Kritik des rassistischen Massenbewusstseins.

Von: Antifa Suhl/Zella-Mehlis

Die Antifa Suhl/Zella-Mehlis unterstützt den Ratschlag seit vielen Jahren. Für uns hat der Ratschlag einen festen Platz im Jahreskalender; nicht nur weil der Ratschlag eine Art Familientreffen der Thüringer Anti-Nazi-Organisationen und -Akteure ist, sondern weil wir den Ratschlag immer als einen Ort der Debatte und des Streits verstehen durften. Und Gründe zu streiten haben wir genug. Ging es anderen Akteuren oft eher darum, sich auf dem Ratschlag in heimeliger Atmosphäre auf Gemeinsamkeiten einzuschwören, so schätzen wir vor allem die Podien und Diskussionsveranstaltungen, in denen es zur Sache ging. Nicht weil man sich mit irgendwelchen stalinistischen Betonköpfen aus MLPD und Co. herumzuschlagen hatte, sondern, weil es gewissermaßen, um die Geschäftsgrundlage der ganzen Veranstaltung ging, um die Frage, was wir eigentlich unter Antifaschismus und Antirassismus zu verstehen haben, wenn wir uns nicht in den nächsten 30 Jahren immer noch regelmäßig mit den nicht nachlassenden Erscheinungsformen faschistischer Gewalt beschäftigen wollen.
Denn, und an dieser Stelle müssen wir die Feierlaune der angereisten Geburtstagsgesellschaft dämpfen, der 30. Geburtstag des Ratschlages ist nicht nur Grund, sich auf die Schulter zu klopfen, dass man so lange durchgehalten hat. Sondern es ist auch ein handfester Ausdruck der Niederlage, die darin besteht, die Voraussetzungen, warum es den Ratschlag geben muss, nicht wirklich grundlegend angetastet zu haben. Niemand würde wohl behaupten, dass sich an den faschistischen Tendenzen, die in den 90er Jahren die Gründung des Ratschlags bedingt haben, etwas Grundlegendes geändert hat. Aus der offen faschistischen NPD der 90er Jahre ist die protofaschistische AfD geworden. Die Brandanschläge auf Unterkünfte von migrantischen Arbeitskräften der 90er Jahre sind zu den Anschlägen auf Flüchtlingsheime geworden und der in Pogromstimmung befindliche Mob hat mit Frontex seine institutionalisierte Form als Garant für den Massenmord im Mittelmeer gefunden. Was feiern wir also? Dass die Gesellschaft heute durch unser Engagement eine bessere geworden wäre jedenfalls nicht. Haben wir nicht wenigstens noch Schlimmeres verhindert? Ja, vielleicht.
Woran liegt es also, dass wir als Antifaschistinnen und Antifaschisten bestenfalls die Feuerwehr eines, zumal im Osten, lichterloh brennenden rassistischen Massenbewusstseins der Mehrheitsgesellschaft sind? Vielleicht liegt es eben an der Haltung der Anti-Nazi-Zivilgesellschaft selbst, die dem rassistischen Massenbewusstsein mit der Idee eines weltoffenen Einwanderungs-landes begegnen will und dabei übersieht, dass diese Politik der Willkommensgesellschaft den alltäglichen bzw. strukturellen Rassismus der bürgerlichen Gesellschaft wie den brutalen Rassismus des rechten Mobs bedient, nämlich die Logik, Menschen anhand von Kosten-Nutzen-Kalkülen zu sortieren. Anders gesagt: Es gelingt einfach nicht, den Rassisten zu erklären, dass die Integration der Fremden einen Gewinn an Fachkräften und kultureller Vielfalt bedeuten könnte.

Rassismus kann in dieser Gesellschaft auch nicht durch eine aufklärerisch verordnete Einübung des Grundsatzes der Gleichheit aller Menschen gebrochen werden, weil Rassismus eben ein gesellschaftlich notwendiges Verhältnis ist; notwendig weil es aus der politökonomischen Konstitution der bürgerlichen Gesellschaft entspringt. Der Rassismus schützt das bürgerliche Subjekt vor der Einsicht in die eigene Nichtigkeit; die Einsicht seiner Überflüssigkeit in einer Gesellschaft, in der der Mensch sich nicht Zweck ist, sondern austauschbares Mittel einer Produktionsordnung, die ihren Zweck in der rastlosen Vermehrung von Tauschwerten hat.
Durch die Abgrenzung vom Flüchtling oder schlicht vom Ausländer soll abgespalten werden, was man selber am meisten fürchtet: die Niederlage in der allgemeinen kapitalistischen Konkurrenz; sei es die Konkurrenz um Arbeitsplätze oder um Sozialhilfe. Der Rassismus ist dabei wesentlich ökonomisch konstituiert.
Das heißt, der Rassist verfolgt den Ausländer nicht vorrangig, weil er seine Kultur oder die rassische Durchmischung arischen Blutes fürchtet, sondern weil er ihn als Konkurrenten im Kampf um die im Kapitalismus künstlich verknappten Zugänge zum Wohlstand wahrnimmt. Daher rührt die abwertende Einteilung zwischen politischen und Wirtschaftsflüchtlingen. Vornehmlich letztere, aber in Konsequenz auch erstere sollen lieber verhungern oder auf der Flucht ersaufen, als den Einheimischen das Elend vor Augen zu führen, das ihnen potentiell auch selber droht.
Die nachhaltige Beendigung des Rassismus und die Abschaffung der herrschenden Produktionsweise bedingen sich also notwendig gegenseitig, wenn Rassismus wie übrigens auch Antisemitismus aus der politökonomischen Konstitution bürgerlicher Subjektivität entspringen. Die Konsequenz der politischen Linken kann demnach nur die sein, das Kapitalverhältnis abzuschaffen, bevor das Kapitalverhältnis damit fortfährt die Menschen abzuschaffen. Und wer meint, es helfe, den Rassisten und Antisemiten die Problemlage einfach mal klar zu machen und auf „gesunden Menschenverstand“ zu setzen, der irrt sich gewaltig und wird, wo nicht bei sich selbst, bei anderen auf Widerstand bzw. Abwehr stoßen, die genau daher rührt, dass Rassismus und Antisemitismus eben keine temporären Erkrankungen des Denkens sind, sondern Ideologien, die fortbestehende gesellschaftliche Verhältnisse repräsentieren und mit ihnen stehen und fallen.
Diese hier nur angerissenen Gründe für die Beständigkeit rassistischen Massenbewusstseins in Form eines Redebeitrages zu präsentieren, ist vermessen und vermutlich habe ich mit meinen knappen Ausführungen zu komplexen gesellschaftspolitischen Zusammenhängen schon den einen oder die andere abgehangen. Aber, und das ist die gute Nachricht, wir haben mit dem Ratschlag einen Ort geschaffen, wo sich einmal im Jahr immer wieder Räume öffnen, um diese und andere wichtige Debatten zu führen, einen Raum für dringend nötige Gesellschaftskritik, ohne die eine solidarische und offene Gesellschaft nicht zu haben sein wird. Und das ist tatsächlich auch im 30. Jahr des Ratschlages ein Grund zu feiern.